Einen existenzsichernden Lohn zu verdienen, gehört zu den Menschenrechten. Dennoch leben weltweit mehr als 1,4 Milliarden Menschen in extremer Armut, und ErntehelferInnen machen einen Großteil davon aus. Aparajita Bhalla, Global Director of Sector Transformation bei der Rainforest Alliance, hat für diese Diskrepanz die passenden Worte gefunden: „Wenn wir die weltweite Armut bekämpfen wollen, müssen wir uns für das Einkommen von FarmerInnen einsetzen.“ Und das gilt auch für bessere Löhne für FarmarbeiterInnen.
„Wenn wir die weltweite Armut bekämpfen wollen, müssen wir uns für das Einkommen von FarmerInnen einsetzen.“
APARAJITA BHALLA
Bei der Rainforest Alliance haben wir uns dem Kampf um einen existenzsichernden Lohn für FarmarbeiterInnen verschrieben. Dabei verfolgen wir einen mehrschichtigen Ansatz: durch aktive Teilnahme in der Global Living Wage Coalition, unser Zertifizierungsprogramm 2020, maßgeschneiderte Programme und Interessenvertretung. Außerdem beteiligen wir uns an innovativen Projekten von Partnerunternehmen. Ein Beispiel ist ein Projekt aus jüngerer Zeit, Better Pay in Practice, das wir im Folgenden näher beschreiben möchten.
Unserer Erkenntnis nach möchten sich viele Unternehmen für einen existenzsichernden Lohn einsetzen. Doch oft wissen sie nicht, wo sie ansetzen sollen. Deshalb haben wir mehrere Instrumente für Unternehmen und FarmerInnen eingeführt, um das Lohngefälle zu ermitteln und ihre Fortschritte zu messen. Wenn auch Ihr Unternehmen zu einem existenzsichernden Lohn in Ihrer Lieferkette beitragen möchte, können wir Ihnen dabei behilflich sein.
ALIGN: Ein Tool, mit dem sich eine Strategie für existenzsichernden Lohn umsetzen lässt.
Zusammen mit dem Living Wage Lab entwickelten wir das Online-Tool Align. ALIGN führt Unternehmen Schritt für Schritt zur Implementierung einer Strategie für existenzsichernde Löhne (und ein existenzsicherndes Einkommen). Dieses vertrauenswürdige Tool vereint das Engagement führender Unternehmen und Experten. Und es setzt auf die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und den OECD-Leitfaden zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln. ALIGN vereinfacht den Prozess zu existenzsichernden Löhnen und Einkommen. Zudem ist es sofort einsetzbar, um Veränderungen auf den Weg zu bringen.
Better Pay in Practice
Vielen Unternehmen ist das Thema existenzsichernder Lohn oftmals zu komplex. Das liegt daran, dass es bislang nur wenige Vorlagen für gerechte und erfolgreiche Geschäftsmodelle gibt. Aus diesem Grund haben wir uns mit der niederländischen Supermarktkette Albert Heijn und anderen Stakeholdern zusammengetan. Wir wollten mehr über die Auswirkungen und Kosten eines existenzsichernden Lohns innerhalb von Lieferketten erfahren.
Daraus entstand das Projekt Better Pay in Practice – eine einzigartige Zusammenarbeit unter der Federführung der Rainforest Alliance. Beteiligt waren zwei Kaffeefarmen in Kenia und ihr Exporteur (Coffee Management Services Ltd.), eine Handelskette, die Kaffee von diesen beiden Farmen mit in ihr Angebot aufnehmen wollte (Albert Heijn), ein Kaffeeröster (Ahold Delhaize Coffee Company) und eine Beratungsagentur für Wirkungsforschung (AIDEnvironment). Unser Ziel sind praktische Lösungen, mit denen sich die Herausforderungen, die durch die Zahlung von existenzsichernde Löhnen entstehen, meistern lassen.
Ein Musterbeispiel, nicht nur für den Kaffeesektor
Better Pay in Practice verfolgt ein zweifaches Ziel. Zum einen wollen wir herausfinden, welche Auswirkungen die Zahlung eines existenzsichernden Lohns auf die beiden teilnehmenden Kaffeefarmen hat, die beide in der Haupterntesaison etwa 500 ArbeiterInnen beschäftigen. Ebenso wollen wir die Auswirkungen auf den Kaffeepreis und die lokalen ErzeugerInnen studieren. Zum anderen wollen wir ein Geschäftsmodell für existenzsichernde Löhne testen, das sowohl ErzeugerInnen wie auch Akteure der Lieferkette mit einbezieht. Ist dieses Modell erfolgreich, könnte es als Musterbespiel für die gesamte Kaffeebranche (und weitere Sektoren) dienen.
Better Pay in Practice begann 2017 als Teil unseres Sektorpartnerschaftsprogramms. Ein endgültiges Fazit werden wir voraussichtlich im Frühjahr 2021 ziehen können. Auch wenn das Projekt noch nicht abgeschlossen ist, sind bereits wertvolle Erkenntnisse daraus in unseren Lösungsansatz für existenzsichernde Löhne eingeflossen und haben bei unserem neuen Zertifizierungsprogramm zu größerer Transparenz und gerechter Verteilung geführt. So beinhalten unsere Anforderungen an die Lieferkette mittlerweile die Zahlung existenzsichernder Löhne in den selbstgewählten Kriterien für Unternehmen, zusammen mit der entsprechenden Überwachung und Rückverfolgbarkeit. Zusätzlich stellen wir landwirtschaftlichen Betrieben ein verbindliches Tool zur Verfügung, um den Jahresverdienst im Vergleich zum Richtwert für existenzsichernden Lohn zu bewerten. Dieses sogenannte Salary Matrix Tool hilft allen Akteuren, die Risiken zu verstehen und Strategien zu entwerfen, die Kluft zu schließen.
Better Pay in Practice – eine Zwischenbilanz
Nachdem die Rainforest Alliance das Lohngefälle für die am Projekt teilnehmenden landwirtschaftlichen Betriebe ermittelt hatte, wurden verschiedene Möglichkeiten geprüft, wie ein Unternehmen die Zahlung von existenzsichernden Löhnen unterstützen kann. Die Kostenanalyse zeigte, dass solche Betriebe einen Großteil der Zusatzkosten durch die Zahlung existenzsichernder Löhne ausgleichen können, und zwar über effizientere Agrarmethoden, welche die Produktivität und Qualität erhöhen. Allerdings entstehen Unternehmen auch unter den günstigsten Bedingungen Mehrkosten, wenn sie die Lohnschere schließen. Um die derzeitigen Margen zu sichern, müssen landwirtschaftliche Betriebe höhere Preise für ihren Kaffee erhalten (d. h. über eine Prämie für einen existenzsichernden Lohn). Die Prämie für einen existenzsichernden Lohn ist die Zahlung, die von den einkaufenden Unternehmen – zusätzlich zum normalem Kaffeepreis – geleistet wird, um die Lücke zu schließen.
Nach unseren bisherigen Erkenntnissen ist es möglich, die Lohnlücke auf Farmebene zu beurteilen. Darüber hinaus haben wir einen Überwachungsmechanismus entwickelt, um die Auswirkungen der Zahlung eines existenzsichernden Lohns auf die FarmarbeiterInnen, ihre Communities und andere Kontaktpunkte innerhalb der Lieferkette zu messen.
Eine Überlegung ist, dass eine abrupte Änderung eines starken Lohngefälles zu Problemen führen könnte, soziale Unruhen etwa und Streitigkeiten mit benachbarten Farmbetrieben. Aus diesem Grund beschlossen die Projektpartner, die Löhne der FarmarbeiterInnen schrittweise zu erhöhen und die Auswirkungen genau zu beobachten. 2019 verpflichtete sich Albert Heijn, zwei Jahre lang mit den beiden kenianischen Farmbetrieben zusammenzuarbeiten, um die Zahlung von höheren Löhnen für die ArbeiterInnen zu unterstützen. Ein Jahr später konnten die Zahlungen bereits 38 Prozent der Lohnlücke schließen. Auch 2021 wird die Zahlung einer Zusatzprämie zum existenzsichernden Lohn wie vereinbart fortgesetzt. Aus den bisherigen Erkenntnissen kann abgeleitet werden, dass sich die höheren Löhne positiv auf den Lebensunterhalt der FarmarbeiterInnen ausgewirkt haben.
Die vollständigen Ergebnisse der Analyse des geschäftlichen Nutzens aus der Zahlung eines existenzsichernden Lohns werden in Kürze in einem Impact Report veröffentlicht. Die vorläufigen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass langfristige Handelsbeziehungen sowie Kosten- und Preistransparenz allen Akteuren der Lieferkette helfen, einen existenzsichernden Lohn für ihre ArbeiterInnen durchzusetzen.
Arbeiten Sie mit uns zusammen, um existenzsichernde Löhne in Ihrer Lieferkette zu unterstützen
Nachhaltigere Lebensbedingungen beginnen mit der Zahlung eines existenzsichernden Lohns. Die Lebensumstände zu verbessern, ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Vision einer Welt, in der Mensch und Natur in Harmonie leben. Viele Unternehmen haben erkannt, dass sie eine geteilte Verantwortung tragen. Jetzt rufen wir alle Unternehmen dazu auf, sich proaktiv für höhere Löhne einzusetzen.
Die Rainforest Alliance kann Ihrem Unternehmen bei Ihren Planungen helfen, den FarmarbeiterInnen innerhalb Ihrer Lieferkette einen existenzsichernden Lohn zu sichern. In unserem Zertifizierungsprogramm 2020 weisen die neuen selbstgewählten Anforderungen an die Lieferkette den Weg hin zu einem existenzsichernden Lohn.
Fangen Sie noch heute an:
- Nutzen Sie das ALIGN-Tool, um den Prozess eines existenzsichernden Lohns einzuleiten.
- Kontaktieren Sie unsere Ressortverantwortliche Anny Stoikova (AStoikova@ra.org). Sie berät Sie gerne, wie Sie mit gutem Beispiel vorangehen können.
Titelfoto: Jorg N. Kemner