Mehr als 1,4 Milliarden Menschen auf der Welt leben in extremer Armut, ein Großteil davon in ländlichen Gebieten. Der Zugang zu besseren und nachhaltigeren Einkommen für KleinbäuerInnen und Waldgemeinschaften ist die effektivste Methode, die Landbevölkerung aus ihrer Armut zu befreien und eine Weltbevölkerung zu ernähren, die für 2050 auf 9,8 Milliarden geschätzt wird. Die Förderung des ländlichen Wohlstands steht im Mittelpunkt unserer Vision einer Welt, in der Mensch und Natur gemeinsam gedeihen. Sie ist Teil unseres Ansatzes für den nachhaltigen Wandel.
Durch unsere Schulungen und Zertifizierungsprogramme haben wir mehr als 2 Millionen FarmerInnen dazu ermutigt, Anbaumethoden zu nutzen, die Erträge und Einkommen steigern, während zugleich teure Investitionen gesenkt werden (z.B. für chemische Dünger). Wenn FarmerInnen aufgrund der Zertifizierung ein besseres Einkommen erzielen können, stellt das einen starken Ansporn für sie dar, auch die übrigen Anforderungen des Standards einzuhalten, die einen besseren Lebensunterhalt fördern — darunter solche, die die Bodengesundheit schützen und Klimaresilienz aufbauen. Das gleiche Prinzip wenden wir bei unseren langfristigen Partnerschaften mit indigenen (Wald)Gemeinschaften an und arbeiten gemeinsam daran, eine florierende und diversifizierte ländliche Wirtschaft zu fördern – auf Grundlage einer verantwortungsbewussten Nutzen der Ressourcen des Waldes.
Die Verbesserung des Lebensunterhalts auf dem Land ist ein komplexes Unterfangen, das eine vielfältige Herangehensweise erfordert. Diese beginnt mit der Erkenntnis, dass der Lebensunterhalt auf dem Land und der Schutz von Ökosystemen eng miteinander verwoben sind. Es erfordert außerdem eine weitreichende Zusammenarbeit von FarmerInnen, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Unternehmen und Regierungen, die sich der dringenden Herausforderung stellen, einen systemischen Wandel über die gesamte Lieferkette zu verwirklichen.
Hier folgt eine Einführung in unsere Strategien zur Verbesserung des Lebensunterhalts auf dem Land.
Bäuerlicher Lebensunterhalt
FarmerInnen können ihre Produktivität und somit auch ihr Einkommen steigern, indem sie nachhaltige landwirtschaftliche Methoden einführen und ihr Farmmanagement verbessern. Manuelle und natürliche Techniken zur Schädlingsbekämpfung senken beispielsweise nicht nur die Kosten, indem teure und starke Agrochemikalien weniger zum Einsatz kommen. Sie führen auf lange Sicht auch zu gesünderen Böden und besseren Ernten. Schulungen für KleinbäuerInnen mit dem Schwerpunkt auf solchen Methoden haben zu weitreichenden Ergebnissen für Saman Udayakumara geführt, einem von fast 100.000 FarmerInnen, die die Schulungen der Rainforest Alliance in Sri Lanka besucht haben. Nachdem er die erlernten Methoden in die Praxis umsetzte, konnte er konkrete Fortschritte beobachten. „Ich habe jetzt erheblich weniger Kosten für die Unkrautbekämpfung. Und ich habe festgestellt, dass die Erde auf der gesamten Plantage schwarz wird [reich an Nährstoffen]”, berichtet er. „Dieses Land ist voller Steine und früher mussten wir manchmal die Arbeit wegen langer Dürrezeiten einstellen. Heute ist es genau das Gegenteil. Wir sind die einzige Plantage, die dieses Jahr während der Dürrezeit weiter geerntet hat. Wir sehen jetzt überall gesunde Teesträucher, eine bessere Verteilung der Zweige und im Ergebnis eine reichere Ernte.”
Klimaresilienz
Die Ergebnisse, die Udayakumar erzielt hat, illustrieren eine weitere damit im Zusammenhang stehende Strategie zur Verbesserung des Einkommens: die Stärkung der Klimaresilienz landwirtschaftlicher Betriebe. FarmerInnen auf der ganzen Welt sind mit neuen und unvorhersehbaren Wetterlagen sowie Dürren und Überflutungen konfrontiert, die ganze Ernten vernichten können. Die Methoden für die Klimaanpassung, die wir in unseren Schulungen und Zertifizierungsprogrammen behandeln, variieren je nach Bedingungen vor Ort. In Indonesien sind KakaofarmerInnen beispielsweise mit längeren Dürrezeiten und extremen Wetterereignissen konfrontiert. Darum bietet die Rainforest Alliance Schulungen zu Methoden an, die genau diese Probleme angehen – zum Beispiel die Anpflanzung von Bodendeckern, um Feuchtigkeit in der Erde zu halten, und Kompostierung zur Verbesserung der Bodengesundheit. Die Kompostierung senkt außerdem die Notwendigkeit teurer synthetischer Düngemittel, die zu den Treibhausgasemissionen beitragen. Die Anpflanzung einheimischer Bäume senkt die Hitzebelastung für die Kakaobäume und Kaffeesträucher. Darüber hinaus dämmt sie Erosion und andere Schäden aufgrund heftiger Regenfälle ein.
Diversifizierung bäuerlicher Einkommensströme
Eine weitere wichtige klimasmarte Strategie, die in unseren Schulungen thematisiert wird, ist die Diversifizierung, die die finanziellen Risiken durch Missernten oder Marktschwankungen reduziert. FarmerInnen können ihre Einkommensströme diversifizieren, indem sie verschiedene Kulturpflanzen anbauen, Vieh halten und/oder Honig erzeugen. All dies stellt eine Absicherung angesichts der Unvorhersagbarkeit der Landwirtschaft dar.
„Wir bringen ihnen bei, dass sie zum Beispiel Schattenbäume wie Vanille oder Avocado für ihren Kaffee anpflanzen können, womit sie dann weiteres Einkommen erzielen können”, sagt Intan Fardinatri, Programmmanager der Rainforest Alliance für Kaffee und Gewürze in Indonesien, der mit KaffeefarmerInnen in der Pufferzone von Sumatras berühmten Bukit Barisan Selatan-Nationalpark zusammenarbeitet. In der Kakaoanbauregion Juaboso-Bia in Westghana erzeugen die KakaofarmerInnen, mit denen wir zusammenarbeiten, Honig aus nachhaltiger Bienenhaltung. Sie halten außerdem Rohrratten, die in ihrer Region eine Delikatesse sind, um ihr Einkommen aufzustocken. Unsere Schulungsprogramme in beiden Regionen fördern Wassersparmaßnahmen und die Konstruktion von Wasserrückhaltesystemen, damit auch in Dürrezeiten Wasser zur Verfügung steht.
Fortschritte für den Lebensunterhalt messen
Woher wissen wir, dass wir mit unserer Arbeit wirklich etwas zur Verbesserung des Lebensunterhalts beitragen? Dafür müssen wir zunächst das Wort ‚Lebensunterhalt‘ definieren. Wie viel Geld braucht ein Haushalt, um sich einen menschenwürdigen Lebensstandard leisten zu können – je nach Wohnort der Familie? Dabei sollten alle Grundausgaben abgedeckt sein, von der Unterkunft bis zu den Lebensmitteln, und die Familie sollte in der Lage sein, auch etwas für unerwartete Ausgaben beiseite zu legen. Das Geld kann dabei auch außerhalb der Landwirtschaft eingenommen werden. Dieser Betrag ist sehr unterschiedlich, auch innerhalb eines Landes selbst, aufgrund regionaler Unterschiede bei den Kosten für Lebensmittel, Unterkunft und weitere Grundausgaben. Wenn wir uns auf einen Lebensunterhalt einigen können, können wir unseren Fortschritt messen und Investitionen fördern. Unsere ExpertInnen arbeiten mit anderen führenden VertreterInnen in diesem Feld zusammen, um Benchmarks für den Lebensunterhalt sowie Tools für die Fortschrittsmessung zu erstellen.
Definitionen: Existenzsichernder Lohn und existenzsicherndes Einkommen
Wir verwenden den Begriff ‚existenzsicherndes Einkommen‘, wenn es um InhaberInnen eines landwirtschaftlichen Betriebs geht, die ihr eigenes Unternehmen führen. Doch ein ähnliches Modell nutzen wir auch, um die Löhne zu betrachten, die von den bei diesen Betrieben arbeitenden Angestellten erarbeitet werden: den ‚existenzsichernden Lohn’. Die Rainforest Alliance ist Mitbegründerin und Mitvorsitzende der Global Living Wage Coalition, die sich aktiv dafür einsetzt, die Löhne von ArbeiterInnen in globalen Lieferketten durch Zertifizierungen zu verbessern — mit dem langfristigen Ziel, einen existenzsichernden Lohn auf der ganzen Welt festzulegen und voranzutreiben. Die Global Living Wage Coalition arbeitet daran, festzustellen, wie hoch ein existenzsichernder Lohn für ArbeiterInnen in einem bestimmten Sektor an einem bestimmten Ort sein muss. Diese Benchmarks — basierend auf objektiver, gründlicher Forschung — liefern ein wichtiges Werkzeug für FarmarbeiterInnen oder ihre VertreterInnen, wenn sie bessere Gehälter mit ihren ArbeitgeberInnen aushandeln wollen. Aktiver Fortschritt zu einem existenzsichernden Lohn ist eine der Anforderungen innerhalb der Zertifizierung der Rainforest Alliance. Die Benchmarks helfen AuditorInnen zertifizierter landwirtschaftlicher Betriebe bei der Einschätzung, ob ein Betrieb seinen ArbeiterInnen genug zahlt. Wenn die Löhne zu niedrig sind, helfen sie den FarmerInnen dabei, einen Lohnverbesserungsplan zu entwickeln, um die Löhne im Laufe der Zeit zu erhöhen.
Der Aufbau einer blühenden Waldwirtschaft
Seit mehr als dreißig Jahren arbeiten wir Seite an Seite mit Waldgemeinschaften (viele von ihnen indigene Bevölkerungsgruppen) am Aufbau diversifizierter Ökonomien auf der Grundlage einer nachhaltigen Ernte – sowohl von Holz als auch von Nichtholz-Waldprodukten. In Guatemalas Maya Biosphere Reservat ernten zum Beispiel unsere Partnergemeinschaften tropisches Hartholz nach dem strengen Standard des Forest Stewardship Council. Um ihre Einkommensströme zu diversifizieren, haben diese Gemeinschaften weitere Waldbetriebe mit geringer Umweltbelastung entwickelt. Sie sammeln z.B. die Samen des Brotnussbaums vom Waldboden oder pflücken Xate, einen Palmwedel, der in Blumengestecken rund um den Globus gerne genutzt wird. Im Ergebnis konnten diese Gemeinschaften $5 Millionen US-Dollar an jährlichem Einkommen erzielen, während sie zugleich fast gar keinen Wald abgeholzt haben. Dagegen leiden in der Nähe einige Regionen unter der schlimmsten Abforstung Mittelamerikas.
Im südlichen Mexiko arbeiten wir mit Ejidos (Land in Gemeinschaftsbesitz) im artenreichen Regenwald, dem Selva Maya, zusammen. Mit unserer Hilfe wurde die Ejido Caoba die erste in der Region, die 2017 nachhaltig geerntetes Mahagoni exportierte und damit einen Umsatz von $171.000 machte. Die gestiegenen Einnahmen ermöglichten es der Ejido, dringend benötigtes Erntegerät zu beschaffen – ein wichtiger Schritt, um den weiteren Erfolg der Gemeinschaft sicherzustellen. Vor kurzem unterstützten wir die Alianza Selva Maya, eine Vereinigung von fünf Ejidos in der Region, bei der Produktion von Dielen und Möbeln, sodass die Gemeinschaften noch mehr Möglichkeiten haben, Einkommen zu erzielen und weiter den Wald zu schützen, von dem sie abhängig sind.
Zertifizierung
Unsere Vision bei der Rainforest Alliance ist es, dass alle FarmerInnen in der Lage sind, sowohl ökologisch als auch ökonomisch nachhaltig zu arbeiten. Die Zertifizierung kann ein wirkmächtiges Werkzeug dabei sein. Zwei aktuelle unabhängige Studien zeigen, dass die Rainforest Alliance-Zertifizierung mit höheren Haushaltseinkommen und weniger Armut bei Haushalten auf Kaffeeplantagen einhergeht, im Vergleich zu nicht-zertifizierten Plantagen. Eine Studie von 2017 aus dem Sustainability Journal, die in Äthiopien durchgeführt wurde, schrieb diese Unterschiede der Prämie zu, die zertifizierten FarmerInnen ausgezahlt wird. Eine weitere Studie, die in Uganda durchgeführt und im Journal of Development Studiesveröffentlich wurde, schrieb sie der erheblich höheren Produktivität zertifizierter Farmen zu. Eine dritte unabhängige Studie fand heraus, dass zertifizierte Kakaoplantagen in Ghana positive Veränderungen hinsichtlich des Einkommens, der Ersparnisse und vieler weiterer finanzieller Variablen beobachteten, seitdem sie die Zertifizierung erhalten hatten; im Gegensatz zu nicht-zertifizierten Plantagen, die entweder keine oder sogar negative Veränderungen im gleichen Zeitraum meldeten.
Verantwortungsbewusste Wirtschaft
Verantwortliches Wirtschaften zur neuen Normalität zu machen ist ein entscheidender Teil unserer Strategie. Zu viele FarmerInnen machen keinen Profit, obwohl sie Zeit, Arbeit und Geld investieren, um ihre landwirtschaftlichen Methoden nachhaltiger zu gestalten. Viele andere können es sich einfach gar nicht erst leisten, in die Einführung nachhaltigerer landwirtschaftlicher Methoden zu investieren. Verarmte FarmerInnen haben wenig Spielraum, Preise für ihre Produkte auszuhandeln. Die Rainforest Alliance arbeitet mit Unternehmen an vielen Aspekten ihrer eigenen Reise zur Nachhaltigkeit — darunter die Erkenntnis, dass Investitionen und Belohnung von nachhaltiger Produktion einen Geschäftswert für die gesamte Lieferkette darstellen. Darum fördert unser Zertifizierungsprogramm 2020 den Ansatz der geteilten Verantwortung und hat zwei finanzielle Pflichtanforderungen für die Käufer von Rainforest Alliance-zertifizierten Rohstoffen eingeführt: den Nachhaltigkeitsbonus und die Nachhaltigkeitsinvestitionen.
Ländliche Armut durch Systemwandel bekämpfen
Weit verbreitete Armut unter FarmerInnen und Waldgemeinschaften auf der ganzen Welt ist ein tief verwurzeltes und komplexes Problem, das vielen Herausforderungen in Sachen Nachhaltigkeit zugrunde liegt — darunter Abforstung sowie Kinder- und Zwangsarbeit. Wir wissen jedoch aus erster Hand, wie viel erreicht werden kann, wenn Regierungen unterstützende Maßnahmen umsetzen, wenn Unternehmen sinnvolle Investitionen tätigen und wenn ländliche Gemeinschaften die technische Unterstützung und Schulung erhalten, die sie brauchen, um ihre Wertschöpfungsketten zu diversifizieren und zu erweitern. Gemeinsam können wir einen Systemwandel voranbringen, der das Leben vieler Menschen auf der Welt verbessern wird.