Interessenvertretung ist in Sachen Nachhaltigkeit ein wesentliches Puzzleteil. Wenn wir von einem ausbeuterischen zu einem regenerativen Ernährungssystem kommen möchten, müssen wir uns für wirkungsvolle Regierungsstrategien einsetzen, die den Wald in den am stärksten bedrohten Regionen der Welt schützen. Dafür müssen in allen Ländern Gesetze verabschiedet werden, die Unternehmen dazu verpflichten, sich mit Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten zu befassen. Außerdem müssen weltweit agierende Unternehmen Maßnahmen ergreifen, die das Wohlergehen land- und forstwirtschaftlicher Gemeinschaften fördern, bei denen sie einkaufen.
Interessenvertretung, also die Einflussnahme auf EntscheidungsträgerInnen in politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Institutionen, spielt eine entscheidende Rolle dabei, sicherzustellen, dass diese Maßnahmen auch wirklich umgesetzt werden. Seit 35 Jahren arbeitet die Rainforest Alliance mit ihrer breit aufgestellten Allianz aus land- und forstwirtschaftlichen ErzeugerInnen, Unternehmen und VerbraucherInnen rund um den Globus daran, den positiven Wandel in globalen Lieferketten und in vielen unserer bedeutendsten Naturlandschaften voranzutreiben. Die Interessenvertretung ergänzt die anderen Hauptfelder unserer Arbeit: Zertifizierung, Programme auf regionaler und Gemeinschaftsebene sowie maßgeschneiderte Programme für Lieferketten, indem wir Strategien und Maßnahmen mitgestalten, von denen die Land- und Forstwirtschaft und die Wirtschaft allgemein in den kommenden Jahren und Jahrzehnten geprägt werden.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Die Arbeit unseres Interessenvertretungs-Teams
Zunächst beobachten wir laufende politische Verfahren auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene. Gemeinsam mit wichtigen EntscheidungsträgerInnen stellen wir durch Beratungen, öffentliche Anhörungen und Konferenzen sicher, dass die geplanten Gesetze einen sinnvollen nachhaltigen Wandel in den Regionen und Sektoren, in denen wir tätig sind, fördern. Wir beteiligen uns darüber hinaus an sektorweiten oder Multi-Stakeholder-Initiativen. Wo diese Initiativen bisher fehlen, tragen wir dazu bei, diese zu schaffen.
Ein Beispiel für eine solche Initiative, an dessen Entstehung sich die Rainforest Alliance beteiligte, ist die Kenya Coffee Platform (KCP), ein Forum für öffentliche und private Interessengruppen im Kaffeesektor. Wir halfen der KCP bei der Entwicklung eines strategischen Landesplans, der auch Geschlechter- und Klimafragen aufgriff. Die Mitglieder der Plattform setzten sich danach erfolgreich dafür ein, natürlichen Kalkdünger an ErzeugerInnen zu verteilen, statt Kunstdünger voller Chemie zu verwenden. Die Mitglieder erkannten auch, dass es eine klarere Ausrichtung auf Best Practices brauchte. Daraus entstand das Kenya Coffee Sustainability Manual, eine Ressource, die mit unserer Unterstützung sowohl geschlechtersensibel als auch klimasmart geworden ist. Das Handbuch vereint Schulungsunterlagen von Unternehmen, Zertifizierungsprogrammen und Regierungen, damit ErzeugerInnen darin geschult werden können, ihre Produktivität und Qualität zu verbessern.
Es folgen weitere Beispiele unserer Interessenvertretung auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene.
Local-level advocacy: influencing cocoa policy in Ghana
Diese Partnerschaft hilf ErzeugerInnen, sich auf die Vertretung ihrer Interessen auf Bezirks- und Landesebene vorzubereiten, um sich dort Gehör zu verschaffen bei den Themen, die die größten Auswirkungen auf ihr Leben haben.
Sandra Kwabea Sarkwah
Lokale zivilgesellschaftliche Organisationen (CSOs) sind gut aufgestellt, um die Interessen der Gemeinschaften zu vertreten, denen sie dienen. Sie können ein wichtiger strategischer Partner bei der Behandlung sensibler Themen wie Entwaldung und Kinderarbeit sein. Die Rainforest Alliance arbeitet mit CSOs zusammen, um unsere Bemühungen in Sachen Interessenvertretung zu verstärken.
In Ghana kämpfen KakaobäuerInnen seit langem mit Problemen wie niedrigem Einkommen, Entwaldung und Kinderarbeit. Dennoch haben CSOs in dieser Region bisher kaum auf Interessenvertretung gesetzt, um Einfluss auf die Kakaopolitik zu nehmen. Darum haben wir uns mit SEND Ghana zusammengeschlossen, einer lokalen Organisation mit langjähriger Erfahrung in der Interessenvertretung zu einer Vielzahl von Themen, darunter auch Nutzpflanzen. Wir führten sie an den Kakaosektor heran und halfen ihnen beim Verständnis der vorliegenden Probleme, indem wir sie mit ErzeugerInnen und anderen relevanten Akteuren in Kontakt brachten.
„Durch diese Partnerschaft konnte SEND den KakaobäuerInnen, vor allem den Frauen, helfen, ihre Führungsqualitäten und Fähigkeiten in der Interessenvertretung zu entwickeln und zu stärken“, sagt Sandra Kwabea Sarkwah, Projektbeauftragte bei SEND Ghana. „Das hat die BäuerInnen auf die Arbeit in der Interessenvertretung auf Bezirks- und Landesebene vorbereitet, sodass sie sich zu den Themen, die die größten Auswirkungen auf ihr Leben haben, Gehör verschaffen konnten.“
Eröffnung des Dialogs mit der Ghana Civil-Society Cocoa Platform
SEND gründete darüber hinaus eine gemeinsame Plattform für Akteure aus der Zivilgesellschaft, um sich mit der Regierung zu Fragen des Kakaosektors auszutauschen. Die Ghana Civil-Society Cocoa Platform (GCCP) vereint Akteure wie kleinbäuerliche Kooperativen, NGOs und JournalistInnen. Ihre Gründung war in höchstem Maße strategisch: Nachdem SEND einen Forschungsbericht zu andauernden Herausforderungen von KakaobäuerInnen, darunter niedrige Einkommen und unsicherer Zugang zu Inputs, veröffentlicht hatte, nutzten Mitglieder eines Journalistenverbandes namens GARDJA diesen Bericht, um neue Artikel über die Kakaoindustrie zu verfassen. Damit wurde Aufmerksamkeit in den Medien erzeugt, was zu einer öffentlichen Debatte führte. Der Bericht von SEND zeigte, dass EinkaufssachbearbeiterInnen, die für lizenzierte Käuferfirmen Kakao einkaufen, die Analogskalen für das Wiegen falsch einstellten, sodass ErzeugerInnen bis zu 11 Prozent ihres Einkommens einbüßten. In Folge der Interessenvertretungsarbeit von SEND führte COCOBOD (die Aufsichtsbehörde der Regierung für den Kakaosektor) digitale Wiegesysteme ein, um Betrug am Verkaufspunkt zu verhindern.
Dieses Engagement gemeinsam mit der COCOBOD und dem Parlament verhalf der Industrie zu einem besseren Verständnis, welches Vorteile für die Erhöhung von Ab-Hof-Preisen für ErzeugerInnen hatte. Ab 2020 legten COCOBOD sowie eine Regulierungsbehörde für Kakao in Côte d’Ivoire einen Preis für Kakao fest, der einen Bonus für ein existenzsicherndes Einkommen enthält. Dieser Betrag wird zusätzlich zum Marktpreis gezahlt und unterstützt das Einkommen der ErzeugerInnen.
Interessenvertretung auf nationaler Ebene: Gemeinschaftliche Forstbewirtschaftung in Guatemala
Im Maya Biosphere Reservat (MBR) in Guatemala unterstützt die Rainforest Alliance seit langem die gemeinschaftliche Waldbewirtschaftung. Auf einem Gebiet von 2,1 Millionen Hektar, fast 19% des Landes, beherbergt das MBR den größten verbliebenen natürlichen Regenwald in Mittelamerika. In diesem wunderschönen Reservat arbeiten neun Gemeinschaftliche Konzessionen seit mehr als 25 Jahren an der Verwaltung und dem Schutz der Biodiversität in diesem Gebiet. Die Konzessionen, die als „leuchtendes Beispiel für Naturschutz“ beschrieben werden, haben erstaunliche Erfolge in Sachen Wirtschaftlichkeit, Naturschutz und Sicherheit erreicht. Vielleicht zwei der besten Indikatoren für den Erfolg der Konzessionen ist die Tatsache, dass sie nahezu keine Entwaldung betrieben haben und die Abwanderungsrate aus der Region extrem niedrig ist. Mit anderen Worten: Die Familien im MBR haben eine nachhaltige Lebensgrundlage, ohne dass sie ihr Zuhause verlassen müssen.
Die Rainforest Alliance arbeitet mit den Waldgemeinschaften zusammen an der Verwaltung der Konzessionen. Auch Organisationen wie die Association of Forest Communities of Petén (ACOFOP) helfen mit technischer Unterstützung, dem Aufbau von Kapazitäten und einem verbesserten Marktzugang für die Holz- und Nichtholz-Produkte der Gemeinschaften.
Gemeinsam können wir den Wald und die Lebensgrundlagen der Menschen, deren Heimat er ist, schützen und verteidigen.
Belén Portillo
Eine nationale Kampagne zum Schutz des Waldes
Als die Verträge der 25-Jahres-Konzessionen ausliefen, setzte sich die Rainforest Alliance bei den EntscheidungsträgerInnen erfolgreich für eine Verlängerung ein. Wir gewannen auch öffentliche Unterstützung mit der Kampagne Salvemos Petén. In den vergangenen Jahren gewährte die Regierung nicht nur fünf Konzessionen eine 25-Jahres-Grundstücksvertrag-Verlängerungen, deren Erneuerung anstand, sondern riefen auch zwei neue ins Leben. So kamen noch einmal 71.255 Hektar Land hinzu, die nun ebenfalls gemeinschaftlich bewirtschaftet werden.
„Die MBR Waldgemeinschaften sind ein Erfolgsmodell für nachhaltige Entwicklung, das im Einklang mit der Natur arbeitet, das Gebiet schützt und gemeinschaftlich verwaltet wird”, sagt Belén Portillo, Advocacy Manager der Rainforest Alliance in Guatemala. „Gemeinsam können wir den Wald und die Lebensgrundlagen der Menschen, deren Heimat er ist, schützen und verteidigen.“
Interessenvertretung auf internationaler Ebene: Unternehmerische Sorgfaltspflichten in Europa
Schließlich setzen wir uns auf internationaler Ebene für Gesetze, Initiativen und Investitionen ein, die eine nachhaltigere Land- und Forstwirtschaft fördern. In jüngster Zeit konzentrieren wir unsere Bemühungen auf Sorgfaltspflichtengesetze in der gesamten Europäischen Union, in der einige der weltgrößten Importeure von Kakao und weiteren beliebten tropischen Produkten angesiedelt sind. Die Maßnahmen zur Sorgfaltspflicht sollen Unternehmen für eventuelle Gefahren hinsichtlich Menschenrechten und Umwelt sowie für die Auswirkungen in ihren Lieferketten verantwortlich machen.
Mehrere Länder haben Gesetze entwickelt oder sind noch dabei, um die unternehmerische Sorgfaltspflicht zu Menschenrechten und Umweltschutz (HREDD) bei bestimmten Themen oder Wirtschaftszweigen vorzuschreiben. Mit anderen Worten: Unternehmen, die bestimmte Kriterien erfüllen, wie Größe oder Betriebsart, müssen über HREDD-Verfahren verfügen und diese transparent darstellen.
Die Rainforest Alliance ist überzeugt, dass zielgerichtete Sorgfaltspflichtgesetze zum Schutz vieler Menschen und Regionen beitragen, die von der Geschäftstätigkeit multinationaler Konzerne betroffen sind. Zudem wird so für mehr Wettbewerbsgleichheit für Unternehmen gesorgt, die bereits in die Sorgfaltspflicht investieren. Wo Sorgfaltspflichtengesetze schon in Kraft getreten sind, arbeiten wir mit unseren Unternehmenspartnern daran, die Vorschriften einzuhalten.