Harki Sidhu, Rainforest-Alliance-Experte und Veteran der Teeindustrie, schildert die harte Realität beim Teeanbau in Assam – und warum er trotz scheinbar unlösbarer Aufgaben optimistisch ist.
Seit dem Jahr 1971 arbeite ich im Teesektor. In diesen dreieinhalb unglaublich dynamischen Jahrzehnten habe ich viele Veränderungen gesehen. Damals kam ich frisch aus dem St. Stephens College der Universität Delhi und wollte in dieser Welt etwas bewegen. Auf meinem beruflichen Weg von den Werkshallen der Teeindustrie bis zum internationalen Management bei Unilever und schließlich zur Rainforest Alliance habe ich miterlebt, wie sich die Teebranche durch Technologien und Mechanisierung weiterentwickelt hat. Zu mancher Neuerung konnte ich selbst beitragen, beispielweise bei der Einführung von Computern, bei der Wurmkompostierung im indischen Teesektor, bei der Gestaltung neuer Bewässerungs-, Wassergewinnungs- und Entwässerungsanlagen, und bei der Entwicklung des integrierten Pflanzenschutzes als Ersatz für chemische Pestizide.
Doch trotz dieser Fortschritte gibt es im indischen Teesektor weiterhin erschütternde, komplexe und tief verwurzelte Ungerechtigkeiten. Die Grenzen von Nachhaltigkeitszertifizierungen werden hier deutlich. Viele unserer Probleme sind Nachwirkungen des schmerzlichen Erbes der Kolonialzeit, in der sich die Briten weite, fruchtbare Landstriche in Assam aneigneten und den kommerziellen Anbau von Tee auf den Schultern von billigen Arbeitskräften vorantrieben. Aufgrund einer Kombination aus soziopolitischen, wirtschaftlichen und ökologischen Faktoren können Teearbeiter in Assam nach wie vor ihre Grundbedürfnisse nicht decken. Und das trotz gelegentlicher Phasen stabilen Wachstums und technologischer Innovationen.
Spannungen zwischen Arbeitern und Managern der Teegärten haben in der Vergangenheit zu bitteren Streitigkeiten geführt. Durch die massive ethnisch geprägte, nationalistische Politik sind sie in den letzten Jahren wieder aufgeflammt. Die hauchdünnen bis inexistenten Gewinnspannen von Teegärten führen heute im Wesentlichen dazu, dass die Arbeiter in einem Teufelskreis der Armut gefangen bleiben. Der jährliche Monsunregen, der in der Vergangenheit für zyklische Störungen des Teeanbaus verantwortlich war, hat sich zur annähernd jährlich eintretenden Klimakatastrophe entwickelt. Ganze Landstriche werden verwüstet und die kleinen, sich abzeichnenden Verbesserungen der Lebensbedingungen von Teearbeitern buchstäblich weggespült.
Komplexe ethnische Probleme mit historischen Wurzeln
Um die sozialen Probleme und Unruhen im Teesektor Assams, in dem heute insgesamt 1,2 Millionen Arbeiter beschäftigt sind, wirklich zu verstehen, muss man die Entstehung der indischen Teeindustrie betrachten. Der Erfolg der kommerziellen Teeproduktion in der Kolonialzeit lastet schwer auf den Bewohnern. Die lokalen Arbeiter aus Bihar, Andhra, Orissa und Bengal wollten nicht für die Kolonialmacht arbeiten, wurden von den Briten aber dazu verpflichtet. Die mangelnde soziale Integration dieser Ethnien über fast ein Jahrhundert lang führte in einer abgelegenen Region wie Assam zu Feindseligkeit und tiefem Misstrauen.
Schließlich begann die ursprünglich in Assam angesiedelte Ethnie sich auch um Beschäftigungen in Teegärten zu bemühen – und letztlich auch zu verlangen. Da die meisten von ihnen Land besaßen, waren sie nicht bereit, im Feld zu arbeiten. Sie forderten Arbeit im Management oder in den Verwaltungen. In den 1980er-Jahren formierte sich die United Liberation Front of Assam (ULFA), eine bewaffnete Separatistengruppe in Assam. Unter anderem erpressten sie Geld von Teegärten und anderen Unternehmen. Manager der Teegärten und die Kommunen verloren die Kontrolle über die Situation. Die Lage verschlechterte sich zunehmend. Die örtlichen Behörden und die Polizei rieten den Managern der Teegärten – im Falle einer Konfrontation mit der ULFA – individuelle und bilaterale Vereinbarungen zur Konfliktlösung zu treffen. Die ULFA gewann politisch an Bedeutung. Studentenführer gründeten eine neue politische Partei, die Assam Ganasangram Parishad (AGP), die 1985 die Wahlen gewann und für fünf Jahre regierte.
Ehemalige ULFA Mitglieder, die sich einst im Untergrund bewegten, etablierten sich mit Hilfe von Regierungskrediten als Geschäftsleute in der Region. Einige von ihnen traten schließlich der Bharatiya Janata Party (BJP) bei, Indiens rechtskonservativer hinduistisch-nationalistischer Partei, die im vergangenen Jahr die Wahlen gewann. Die neue Staatsregierung hat den Teearbeitern versprochen, ihre Löhne zu erhöhen – und ist damit in einen Sumpf aus globalen Wirtschaftskräften, langjährigen ethnischen Spannungen und unwürdigen sozialen Bedingungen geraten.
Dilemma: Mangelnde Wirtschaftlichkeit
In Assam gibt es 750 Teegärten und 100.000 Kleinbauern, die im östlichen Teil zu finden sind – bekannt als Upper Assam. Sie produzieren mehr als die Hälfte der indischen Jahresproduktion von 1,2 Millionen Tonnen Tee. Übertroffen wird dies nur noch von der Gesamtproduktion Chinas. Dennoch befindet sich Indiens Teeindustrie in ernsten finanziellen Schwierigkeiten. Regierungsbeamte stehen vor einem Dilemma: Eine Anhebung der Löhne würde wahrscheinlich zum wirtschaftlichen Zusammenbruch hunderter Teegärten und zehntausender Kleinbauern führen. Auf der Achterbahnfahrt von Angebot und Nachfrage können viele Gärten derzeit gerade noch so wirtschaftlich überleben. Aufgrund der makroökonomischen Kräfte, die auf Indiens gesamten Teesektor einwirken, hatten die Bemühungen zur Verbesserung der Lebensumstände und mageren Einkommen der Teearbeiter bislang wenig Erfolg.
An diesem Punkt setzen Nachhaltigkeitsorganisationen wie die Rainforest Alliance an. In Assam und anderen Teeanbaugebieten Indiens wie Darjeeling und Nilgiris bieten sie Schulungen an und zertifizieren Teegärten für eine nachhaltigere Anbauweise, die sich auch positiv auf ihre Produktivität auswirken kann. Meine Kollegen und ich haben in den letzten zehn Jahren mit über einhundert Teegärten zusammengearbeitet – einige von ihnen wirtschaftlich erfolgreich, die Mehrzahl jedoch finanziell am Limit. Wir unterstützen sie bei der Einführung umweltbewussterer und sozial verträglicher Methoden, die in eine Zertifizierung münden können.
Scheinbar unlösbare Aufgaben – und doch besteht Hoffnung
Als wir unsere Arbeit mit Teegärten und Kleinbauern aufnahmen, stellten wir fest, dass die anhaltenden sozialen Probleme im Teeanbau von Assam – von Kinderarbeit und sexuellem Missbrauch bis hin zu schlechten oder inexistenten Sanitäreinrichtungen – untrennbar mit den bereits oben beschriebenen Problemen zusammenhängen. Für Teegärten, die kurz vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch stehen, scheint eine Verbesserung der Unterkünfte von Arbeitern oder der Bau von Sanitäranlagen illusorisch, wenn sie noch nicht einmal in der Lage sind, ihren Arbeitern den kärglichen indischen Mindestlohn zu zahlen (umgerechnet ca. USD 3,90 pro Tag). Diejenigen, die einen Weg zur Verbesserung der Infrastruktur auf den Teegärten finden, stoßen auf ein weiteres Problem: nur 20 Prozent der auf den Teegärten in Assam lebenden Menschen arbeiten auch auf ihnen (der Rest sind Familienmitglieder, entfernte Verwandte und ehemalige Arbeiter). Die jährlichen Monsun-Überschwemmungen verschärfen die Situation zusätzlich. In diesem Jahr sind mehr als 1.200 Menschen in ganz Südasien umgekommen, 183.000 Menschen allein in Assam wurden obdachlos.
Und dennoch bin ich bei diesem scheinbar trostlosen Szenario voller Hoffnung – voller Optimismus und Zuversicht, nicht aufgrund naiver Träume, sondern inspiriert durch die Menschen, denen ich täglich im Feld begegne. Die großen Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, können nur durch gemeinsames Engagement aller relevanten Akteure des Sektors (die zum Teil weitaus stärker sind als die Rainforest Alliance) adäquat angegangen werden. Ich beobachte ein greifbares Gefühl der Entschlossenheit bei vielen Akteuren, die versuchen, Lieferketten sozialer und umweltfreundlicher zu gestalten: Ob internationale Entwicklungsorganisationen, die unerlässlich versuchen die sozialen Bedingungen durch nachhaltigere Praxis zu verbessern; ob Manager von Teegärten, die Erträge so weit steigern möchten, dass sie anhaltenden Preiseinbrüchen standhalten können; ob lokale Regierungsbeamte, die massive soziale Unruhen verhindern wollen, zu denen es unweigerlich käme, wenn Teegärten ihren Betrieb einstellen müssten; ob Arbeiter selbst, die jeden Tag danach streben, für sich und ihre Kinder ein besseres Leben zu schaffen.
Aufgeben ist keine Alternative
Dies sind die Schlüsselfiguren, die es alle braucht, um Wandel zu erreichen. Und egal, wie kompliziert es wird: Wir geben nicht auf. Aufgrund der Komplexität des indischen Armutsprofils und der tiefsitzenden soziopolitischen Dysfunktion, die den Teesektor von Assam prägt, verfolgen wir einen Ansatz für kontinuierliche Verbesserungen. Damit möchten wir Teegärten und Kleinbauern dort abholen, wo sie sind – egal wie schlecht ihre Situation auch sein mag – damit der laufende Betrieb erhalten bleibt und sie auf den Zug zu mehr Nachhaltigkeit aufspringen.
Aus der Vergangenheit lernen
In solchen herausfordernden Situationen ist es sinnvoll, einen Schritt zurückzutreten und mit Abstand zu betrachten, was wir aus der Vergangenheit lernen können. Begonnen hat die Rainforest Alliance ihr nachhaltiges Landwirtschaftsprogramm, um Missstände in der Bananenindustrie anzupacken, die in den 1980er-Jahren für ihre groß angelegten Rodungen in Zentralamerika und den schrecklichen Missbrauch von Arbeitern berüchtigt war. Wir haben Branchenführer, Unternehmen, Wissenschaftler und Farmer zusammengebracht, um gemeinsam einen langen und oft auch holprigen Weg zu mehr Nachhaltigkeit zu gehen – so wie wir es heute in Assam versuchen.
Auf diesem Weg haben wir zwei entscheidende Dinge gelernt. Erstens: Der Nachhaltigkeitsweg endet nie. Und zweitens: Je größer die Probleme, desto mehr ist es unsere Pflicht, alles zu versuchen. Wir lassen in unseren Bemühungen nicht nach, trotz der enormen Schwierigkeiten in Assam. Denn wir wissen auch, wie wichtig eine nachhaltige Landwirtschaft zur Stabilisierung einer Region ist, die so anfällig ist für Klimakatastrophen. Und wann immer wir Gefahr laufen, den Kopf hängen zu lassen, denken wir an die 1,2 Millionen Menschen, die keine andere Wahl haben, als sich jeden Tag auf diesem Land mühsam durchzuschlagen und von einem besseren Leben zu träumen – für die nächste Generation.