Ein Schwerpunkt unserer Arbeit bei der Rainforest Alliance ist es, bessere Lebensbedingungen für FarmerInnen und ihre MitarbeiterInnen zu schaffen. Dazu gehört auch, dass die FarmerInnen ein existenzsicherndes Einkommen erhalten und ihren ArbeiterInnen existenzsichernde Löhne zahlen können. Mit genau diesen Themen beschäftigte sich die von uns mitorganisierte Konferenz „The Only Way Is Up!“ am 5. und 6. November in Rotterdam. Die Konferenz hat diverse Organisationen und Wirtschaftsakteure entlang der gesamten Lieferkette landwirtschaftlich erzeugter Lebensmittel zusammengebracht, um gemeinsam Lösungen für bessere Lebensbedingungen zu finden.
Warum wir uns mit besseren Lebensbedingungen beschäftigen
Schätzungsweise leben mehr als zwei Drittel der KakaofarmerInnen in den Anbaugebieten Afrikas unter der Armutsgrenze. Bei Kaffee- und TeefarmerInnen ist die Problematik ähnlich. Wir von der Rainforest Alliance wollen eine bessere Zukunft für Mensch und Natur schaffen, indem wir verantwortungsbewusstes Handeln zur Normalität machen. Daher setzen wir uns für nachhaltigere Land- und Forstwirtschaften ein. Dazu gehört auch, dass FarmerInnen, ForstwirtInnen und Arbeitskräfte auf der ganzen Welt einen Lohn erhalten, der es ihnen und ihren Familien ermöglicht, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Was im ersten Moment ziemlich logisch klingen mag, ist in der Realität sehr komplex und lässt sich nur schwierig umsetzen.
Was ist der Unterschied zwischen existenzsicherndem Einkommen und existenzsicherndem Lohn?
Um nachvollziehen zu können, was wir unter besseren Lebensbedingungen für FarmerInnen und ihre MitarbeiterInnen verstehen, muss der Unterschied zwischen existenzsicherndem Lohn und existenzsicherndem Einkommen klar werden. Ein existenzsichernder Lohn ist ein Betrag in einer solchen Höhe, dass die ArbeitnehmerInnen ein menschenwürdiges Leben mit ihren Familien führen können. Es müssen also grundlegende Kosten gedeckt sein. Dazu gehört neben einem Dach über dem Kopf und ausreichend Lebensmitteln auch die Möglichkeit, kleine finanzielle Reserven für unerwartete Ereignisse anlegen zu können. Welcher Betrag diese Kosten deckt, kann von Region zu Region variieren, da die Lebenshaltungskosten je nach Land und Region unterschiedlich ausfallen.
Ein existenzsicherndes Einkommen bezieht sich auf das jährliche Netto-Haushaltseinkommen, welches benötigt wird, um allen Haushaltsmitgliedern ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, z.B. dem Farmbesitzer (oder Kleinbauern) und seiner Familie. Das Haushaltseinkommen einer landwirtschaftlichen Familie kann zusätzliche Einkommensquellen umfassen, die ausserhalb des Farmbetriebes entstehen.
Sowohl FarmerInnen als auch ArbeitnehmerInnen entlang der gesamten Lieferkette müssen in den Kampf für bessere Lebensbedingungen und gegen die Armut einbezogen werden. Die Herangehensweise an diese beiden Themen, existenzsicherndes Einkommen und existenzsichernde Löhne, ist sehr unterschiedlich.
Wie lässt sich ein existenzsicherndes Einkommen erreichen?
Unsere Vision ist es, dass alle FarmbesitzerInnen in der Lage sein sollten, ökologisch und ökonomisch nachhaltig zu produzieren, damit sie ein existenzsicherndes Einkommen erzielen und ihren ArbeitnehmerInnen einen existenzsichernden Lohn zahlen können. Mit unserer Zertifizierung wollen wir genau das fördern: nachhaltige Landwirtschaft und verantwortungsvolle Geschäftspraktiken.
Nachhaltige Landwirtschaft
Viele Landwirte können ihr Einkommen durch die Umstellung auf nachhaltigere und effizientere Anbaumethoden erhöhen. Bessere Anbaumethoden und eine effizientere Bewirtschaftung von Farmen im Allgemeinen führen dazu, dass sich bei gleicher Anbaufläche die Produktivität steigert, die Kosten sinken und die Erträge erhöhen. Daraus folgen höhere Gewinne für die Farmer.
Auch die Diversifikation ist wichtig. Farmer, die nur eine Pflanzensorte anbauen, sind anfälliger; ein Ernteausfall oder eine plötzliche Veränderung des Marktpreises kann ihre Einkommensgrundlage zerstören. Wenn die FarmerInnen ihren Betrieb jedoch diversifizieren, werden sie widerstandsfähiger, schützen sich vor solchen Krisen und generieren zusätzliches Einkommen.
Ein zunehmend bedeutsamer Faktor ist zudem die Klimabeständigkeit der einzelnen Farmen. Viele FarmerInnen sind den direkten Auswirkungen des Klimawandels ausgesetzt. Stetig wechselnde und teilweise extreme Wetterbedingungen stellen eine große Herausforderung dar, da der Erfolg einer Ernte von bestimmten Wetterbedingungen abhängig ist. Durch die intelligente Bewirtschaftungsmethoden, wie das Pflanzen von Schattenbäumen, diversifiziertem Anbau und einer guten Bodenbewirtschaftung können FarmerInnen sich an wechselnde Klimabedingungen anpassen und somit ihre Einkommensquelle schützen.
Verantwortungsbewusste Unternehmen
Eine nachhaltige Landwirtschaft reicht alleine jedoch nicht aus, um bessere Lebensbedingungen für FarmerInnen und ihre Arbeitskräfte herzustellen. Viele Farmen erwirtschaften trotz optimierter Bewirtschaftungsmethoden nicht genug Profit oder können es sich nicht leisten, nachhaltigere Anbaumethoden einzuführen. Darüberhinaus verfügen FarmerInnen oftmals über geringe Verhandlungsmöglichkeiten und ihre Investionen in eine nachhaltigere Produktion werden nicht angemessen vergütet.
Indem wir verantwortungsvolle Geschäftspraktiken fördern, ermutigen wir Unternehmen, den Wert der Nachhaltigkeit zu erkennen, in nachhaltige Produktion zu investieren und diese auch zu belohnen. Investitionen in nachhaltige Anbaumethoden bringen einen Mehrwert für die gesamte Lieferkette mit sich, und deshalb muss die Verantwortung auch auf alle Akteure der Lieferkette verteilt werden. Der Bezug von zertifizierten Produkten ist eine der besten Möglichkeiten für Unternehmen, verantwortungsvolle Geschäftspraktiken einzuführen. Unser geplantes Zertifizierungsprogramm 2020 wird eine verbindliche Prämie für alle zertifizierten Rohstoffe enthalten, denn ein nachhaltigeres Produkt ist ein besseres Produkt, das einen angemessenen Preis verdient.
Schritt für Schritt zu höheren Löhnen
Viele FarmbesitzerInnen sind nicht in der Lage, ihren ArbeiterInnen existenzsichernde Löhne zu zahlen, da der Verkauf der Ernte nicht immer genug Gewinn abwirft. Daher müssen sich alle in der Lieferkette involvierten Unternehmen sowie die jeweiligen Landesregierungen beteiligen, um einen existenzsichernden Lohn möglich zu machen. Dazu muss jedoch zunächst definiert werden, was genau ein existenzsichernder Lohn überhaupt ist.
Mit eben dieser Thematik beschäftigt sich die Global Living Wage Coalition (GLWC), eine Gruppe aus verschiedenen NGOs. Wir von der Rainforest Alliance sind sowohl Mitbegründer als auch Mitvorsitzender der GLWC. Gemeinsam arbeiten wir daran, zu identifizieren wieviel Lohn eine Arbeitskraft in einer bestimmten Region braucht, um ein menschenwürdiges Leben zu führen. Die Erkenntnisse aus dieser objektiven und strengen Forschung werden zu Maßstäben formuliert, die es FarmmitarbeiterInnen oder ihren VertreterInnen ermöglichen, mit ihren ArbeitgeberInnen bessere Lohnverhandlungen zu führen. Daran zu arbeiten, zukünftig existenzsichernde Löhne zahlen zu können, ist eine der Anforderungen der UTZ- und der Rainforest-Alliance-Zertifizierung. Die formulierten Maßstäbe helfen zudem den AuditorInnen bei Kontrollen nachzuvollziehen, ob in den zertifizierten Betrieben die FarmerInnen ihre MitarbeiterInnen ausreichend bezahlen. Ist dies nicht der Fall, werden Maßnahmen ergriffen. Dazu gehört beispielsweise die Entwicklung eines Plans zur Lohnverbesserung für alle MitarbeiterInnen.
The Only Way Is Up! – Gemeinsam einen Unterschied machen!
Die „The Only Way Is Up!“-Konferenz baute auf den bisher geleisteten Bemühungen zu Lohn- und Einkommenserhöhungen auf, indem sie hochranginge RednerInnen aus Wirtschaft und Politik zusammenbrachte. Darunter waren Sigrid Kaag, niederländische Ministerin für Handel und Entwicklungszusammenarbeit und Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, sowie zivilgesellschaftliche Organisationen. Gemeinsam haben sie über bewährte Verfahren diskutiert und was Unternehmen darüber hinaus tun können, um zu einer besseren Lebensgrundlage für FarmerInnen und ihre MitarbeiterInnen beizutragen.
Der Keynote-Speaker Antonie Fountain, Geschäftsführer des VOICE-Netzwerks, betonte, wie wichtig es ist, zusammenzuarbeiten: „Wir müssen das Problem der Armut lösen, indem wir für existenzsichernde Löhne und Einkommen sorgen. Gelingt uns das nicht, werden wir auch andere Herausforderungen wie Kinderarbeit, Abholzung oder Benachteiligung aufgrund des Geschlechts nicht bekämpfen können. Existenzsicherndes Einkommen ist nicht das Ziel unserer Bemühungen – wir wollen darauf hinarbeiten, dass es den Farmern langfristig besser geht.“
Die Konferenz sollte nicht nur inspirieren, sondern auch zu spannenden Debatten einladen, um darauf aufbauend konkrete Schritte einleiten zu können.
Mehrere Vertreter einzelner Branchen und Unternehmen stellten ihre Lösungsansätze vor, um existenzsichernde Löhne und Einkommen zu erreichen. Niederländische Supermarktketten präsentierten die erste landesweite Einzelhandelsverpflichtung, um Lohnunterschiede im Bananensektor zu verringern. Diese Verpflichtung beinhaltet, dass Bananen hauptsächlich in den Supermärkten verkauft werden, die den ArbeiterInnen in den Anbauländern existenzsichernde Löhne garantieren.
Aktionen wie diese sind unfassbar wichtig! Denn am Ende des Tages sind wir alle ein Teil einer Gemeinschaft, die aus gemeinsamen Risiken, Möglichkeiten und Werten besteht.